Literarische Sprechstunde des Bürgervereins. Thema heute: Buchvorstellung „1793“ und „1794“ von Niklas Natt och Dag

Buchlesung zu "1793" und "1794"

Die heiteren, fröhlichen und unbeschwerten Lieder des schwedischen Dichters und Musikers Carl-Michael Bellmann aus der zweiten Hälfte des18. Jahrhunderts kennt in seinen Heimatland fast jeder. Selbst in der DDR waren sie beliebt, nicht zuletzt durch Manfred Krugs geniale Interpretation. Sie boten auch Inspiration für zahlreiche Chansonabende in kleinen, intimen Theaterräumen. Ob unterm Dach oder im Keller, das Motto blieb unverändert: „Durch alle Himmel und alle Gossen“. Aus den Liedern erstrahlte der Glanz des alten Rokoko, charmant, kapriziös, deftig und prall, ein Ausbund an Lebensfreude.

Der schwedische Autor, Niklas Natt och Dag (geb. 1979) versetzt seine beiden Romane „1793“ und „1794“ mit Zitaten schwedischer Dichter und Geistesgelehrten jener Zeit. Carl-Michael Bellmann leitet die jeweils letzten Abschnitte ein. Natt och Dag kennt seinen Bellmann. Er kennt ihn so gut, dass es ihm gelingt, eine Gegendarstellung zu wagen, den nicht sichtbaren Teil auszuleuchten. Es sind die Terrorjahre der zweiten Phase der Französischen Revolution, in deren Blutströmen jegliche Galanterie erstirbt. Zur gleichen Zeit fällt in Stockholm König Gustav III. einem Attentat zum Opfer. Im entstehenden Raum des Umbruchs, des Auf- und Nieder seiner Günstlinge und Gegner, siedelt Natt och Dag, selber einem uralten Adelsgeschlecht entstammend, seine mysteriösen Kriminalfälle an. Die Opfer wurden grausam misshandelt. Es sind keine Geschichten für schwache Nerven, aber dennoch braucht es genau diese Darstellung, um wie mit einem Brennglas der Zeit des scheinbaren Frohsinns auf den Grund zu sehen. Denn dort finden sie sich alle, die Händler, Kneiper, Matrosen, Schankmädchen, Kupplerinnen, die ausgedienten und versehrten Soldaten und all jene Glücksritter, die sich dem Spiel und dem Zufall überlassen, weil sie keine Hoffnung auf geordnete Verhältnisse mehr haben. Sie stehen einer korrupten Beamtenschaft gegenüber, die selten über ihre branntweinfleckigen Aktenstöße hinwegschaut.

Gewinner in diesem Chaos sind menschliche Bestien. Seit der Neubewertung materialistischer Dinge, die ihren Weg nach Frankreich aus über Mitteleuropa nahm, stehen Eigenschaften wie Mitleid, Güte, Gnade, Barmherzigkeit als religiöse Zeichen auf dem Index. Die Säkkularisierung marschiert und die Kriege der ach so aufgeklärten Landesherren bringen mehr Tod und Verderben, als die Chroniken vergangener Konflikte Worte finden. Ihre Waffen sind präziser, effektiver und der Tod potenziert sich. Die alten Strukturen erweisen sich noch immer als hilfreich unter der Hand des Fortschritts. Dantes Hölle verzahnt ihre Höfe und wälzt sich auf die Erde, sichtbar, real, fatal, Menschenwerk. Von Menschen erdacht und verwirklicht und nicht die Strafkammer eines fernen Gottes.

Niklas Natt och Dag ist noch nicht am Ende seiner Erzählung. Auf „1795“ darf man gespannt sein.